Arbeit
Inhaltsverzeichnis
Motivation
Arbeit ist eine Art seltsamer Attraktor mehr oder weniger jeder Auseinandersetzung und fast aller Diskurse. Krankenkasse? Arbeit! Autobahn bauen? Arbeit! Klimakatastrophe! Arbeit? Bildung? Für die Arbeit! Bis hin zu der bizarren Meldung, dass jetzt eine Studie erwiesen habe, dass Babys, die gestillt werden, später erfolgreicher im Arbeitsleben sind... und so den lieben langen Tag lang. Die Wahlplakate der Parteien, die dann alle unisono "Arbeit, Arbeit, Arbeit" (SPD) fordern, wenn nicht sogar "Arbeit soll das Land regieren!" (PDS), sind davon eigentlich nur ein müder Abklatsch.
Wenn man versucht diesem bizarren Phänomen auf den Grund zu gehen und dem Diskurs um die Arbeit nachzuspüren, merkt man sehr schnell, dass eine Vielzahl von Arbeitsbegriffen im Umlauf sind: ökonomische, psychologische, anthropologische, ästhetische, ethische ja selbst theologische. Diese sind oft im Widerspruch zueinander, ebensooft werden sie aber im alltäglichen Gebrauch in gegenseitiger Unterstützung verwendet.
Ein kritischer Umgang mit diesem Phänomen kann also nicht nur darin bestehen, der Vielzahl an Begriffen einen weiteren hinzuzufügen, wie es der Marxismus versucht hat, sondern muß in dem Versuch bestehen die alltägliche Konstruktion in dem, was wir unter "Arbeit" verstehen, zu dekonstruieren und schliesslich aufzuheben.
Zum anderen wäre ein weiterer Begriff von Arbeit immer damit konfrontiert, dass Arbeit immer eine Beziehung zwischen Menschen und Dingen sein muß, sei es als Mühsal oder als Stoffwechselprozeß mit der Natur. Eine fundamentale Gesellschaftskritik mit einer Perspektive der Veränderung (und um die geht es hier) muß jedoch immer die Beziehungen zwischen Menschen im Blick haben. Die postulierte Allgegenwart der Arbeit - und sei es auch noch so kritisch gemeint - ist also immer auch die Allgegenwart der Verdinglichung (und nicht nur ihr Postulat!). Deshalb:
Bedeutungswirbel
Arbeit ist mehr als ein Begriff. Arbeit ist ein Bedeutungswirbel, der kreative Macht in instrumentelle Macht verwandelt.
Arbeit hat zwei Achsen. Eine soziale und eine kulturelle. Auf der sozialen Achse wird Arbeit gebildet durch ihre zwei Gegensätze: Durch den psychologischen Gegensatz zum Flow und den ökonomischen Gegensatz zur Freizeit. Auf der kulturellen Achse wird Arbeit gebildet durch ein weiteres Paar von Gegensätzen: Den ästhetischen Gegensatz zur Muße und den ethischen Gegensatz zur Faulheit.
Diese Gegensätze sind nicht in dem Sinne Gegensätze zu Arbeit, dass sie sich definitorisch ausschliessen würden, vielmehr sind es Gegensätze nur in einem Teil des wirbeligen Bedeutungsfeldes von Arbeit. Wie bestimmen sich diese Gegensätze im Einzelnen?
Psychologisch gesehen ist Arbeit vor allem ein Etwas-gegen-einen-Widerstand-Tun. Wenn man das was man tut, ohne einen Widerstand tut, kann das zum Flow führen. Auch Arbeit kann zum Flow führen, ist es dann aber zumindestens in diesem psychologischen Sinne nicht mehr.
Ökonomisch gesehen ist Arbeit vor allem ein Verkaufen von Zeit. Deswegen ist auch die davon unberührte Zeit ihr Gegensatz, eben die Freizeit.
Ästhetisch gesehen ist Arbeit vor allem ein Beschäftigt-Sein und somit der Gegensatz zu Muße.
Ethisch betrachtet ist Arbeit vor allem ein Tätig-Sein und somit der Gegensatz zu Faulheit.
Es ist offensichtlich, dass jeder dieser Gegensätze nicht ausschließend sein kann. Eine Tätigkeit kann Selbstentfaltung sein und doch (ökonomisch betrachtet) Arbeit, eine Tätigkeit kann ethisch betrachtet Arbeit sein und doch ökomisch Freizeit usw. Diese Gegensätze sind also noch nicht Arbeit.
Es existieren noch weitere Arbeitsbegriffe, insbesondere der anthropologische und der theologische, diese sind aber eher zu verstehen als gescheiterter Versuch alle die anderen Bedeutungen unter einen Hut zu bekommen.
Arbeit entsteht erst im Bedeutungswirbel, der durch diese zwei Achsen aufgespannt wird. Jeder Gegensatz an sich bietet einen scheinbaren Ausweg aus der Arbeit, doch jeder dieser Auswege wird irgendwann durch einen der anderen Gegensätze eingeholt. Dieser Wirbel deckt tendenziell den gesamten menschlichen Tätigkeitsbereich ab. Dadurch, dass Arbeit im Herzen des Wirbels steht, bezieht sich alle Tätigkeit auf Arbeit. Jegliche menschliche Tätigkeit wird zu Arbeit gerade dadurch, daß Arbeit so viele Gegensätze hat.
Arbeit ist also nicht eine Tätigkeit, sondern das arbeitsförmig-werden jeglicher Tätigkeit. Arbeit ist außerdem gesellschaftliche in dem Sinne, dass weniger einzelne - quantifizierbare - Tätigkeiten Arbeit ausmachen, sondern dass Arbeit entsteht in der Beziehung zwischen Menschen, in der relationalen Verknüpfung der Arbeitenden. Der traditionelle Kapitalismus hat die Tätigkeit Arbeit organisiert und verwertet. Zunehmend wird jedoch die (Selbst-)Organisation der Arbeitdenden verwertet, was dem Kapitalismus ein ganz neues Feld des Arbeit-Werdens eröffnet - und davon nährt sich der Wirbel.
Die kreative Macht der Multitude erhält durch Arbeit Ziel und Richtung. Doch es sind nicht ihr Ziel und ihre Richtung. So wird sie zur instrumentellen Macht.
Abschaffung der Arbeit
In der Rede von der "Abschaffung der Arbeit" zeigt sich das ganze Dilemma des Bedeutungswirbels. Diese Forderung lässt sich aufgrund des wirbeligen Charakters des Bedeutungsfeldes "Arbeit" immer leicht abbiegen (zB. so: "Menschen werden immer tätig sein müssen um ihr Überleben zu sichern", was eine offensichtliche Verschiebung verschiedener Arbeitsbegrifflichkeiten ist). Sinn macht diese Forderung jedoch dann, wenn man sie versteht als das Brechen der Hegemonie des Arbeitswirbels und der Verstärkung alternativer, benachbarter Wirbel. [bearbeiten] Arbeit und Wert
Arbeit ist keine Tätigkeit, sondern die Bewertung oder das Aufsaugen einer Tätigkeit. Etwas ist dann Arbeit, wenn ich oder andere es psychologisch, anthropologisch, ökonomisch, ... als solche bewerten, messen. Der Wert ist das Wert-werden, also das Maß, ist das Messen der Welt, ist die Tendenz der Aufklärung auf der Suche nach einem allumfassenden totalen System. Die Totalität des Werts wäre das totale System der Aufklärung.
Der Wert geht also der Arbeit voran. Vielleicht war es das was uns die Krisis-Leute sagen wollten?
Umgekehrt geht aber auch die Arbeit dem Wert voran, weil selbstverständlich die in-Wert-Setzung der Welt nicht funktioniert ohne die Verwandlung menschlicher Tätigkeit in instrumentelle Macht.
Arbeit und Wert sind wie Henne und Ei.
TODO: Arbeit und Anerkennung
benachbarte Wirbel
Benachbarte Bedeutungswirbel sind die Wirbel von Spiel und Liebe. In beiden Fällen ist das Verhältnis zwischen den Wirbeln eines der Konkurrenz (um gesellschaftliche Ressourcen, um Aufmerksamkeit, um Bedeutung) aber auch eines der gegenseitigen Bedingtheit.
An diesen Schnittstellen zwischen den Wirbeln kann eine emanzipatorische Politik wirksam ansetzen. Es gilt also diese Grenzzonen zu untersuchen und dort Experimente zu wagen, die die Wirbel verschieben oder auch überhaupt erst in ihrem Wirken deutlich machen. Neben der Untersuchung der benachbarten Wirbel ist es auch wichtig, die innere Anatomie des Arbeitswirbels genauer zu untersuchen. Dafür kann es hilfreich sein, verschiedene Arten von Arbeit zu unterscheiden. [bearbeiten] Arten von Arbeit
TODO: Zwangsarbeit, notwendige Arbeit, ...
immaterielle Arbeit
Die Definition von immaterieller Arbeit als Arbeit, die immaterielle Produkte herstellt wie bei Hardt/Negri, macht aus dieser Sichtweise keinen Sinn (siehe auch: Neues zur Brötchenfrage, Virtuosität und Immaterialität). Vielmehr wäre der Blick darauf zu richten, das immaterielle Arbeit den Wirbel erweitert. Auf einmal werden auch Tätigkeiten von weiter außen in den Wirbel gezogen. Der Wirbel gewinnt also an Macht.
Das ist überhaupt das Wesen des Kapitalismus: Er weitet den Wirbel immer weiter aus.
Die befreiende Wirkung, die Hardt/Negri in der immateriellen Arbeit sehen, findet sich nicht dort, sondern in den Bewegungsmomenten von Arbeit, die ebenso zu den benachbarten Bedeutungswirbeln von Spiel oder Liebe gehören. Es macht möglicherweise Sinn, diesen Aspekt des Arbeitswirbels als immaterielle Arbeit zu bezeichnen. Ohne ein Verständnis des Gesamtwirbels sieht man aber nur das halbe Bild und landet schliesslich bei dem manchmal etwas naiv wirkenden Optimismus der Operaisten.
Lohnarbeit und Prekarisierung
Lohnarbeit ist im Zentrum von Arbeit. Sie ist der Auge des Hurricans. Ein Bereich verhältnismäßiger Ruhe im Zentrum des Wirbels. Sie ist klar definiert. Jeder weiß, dass er arbeitet, so lange er lohnarbeitet. Dennoch gäbe es ohne Lohnarbeit keine Arbeit. Das Zentrum ist ebenso ruhig wie bestimmend. Lohnarbeit ist das Bedeutungszentrum des Wirbels. Jedes Denken über Arbeit bezieht sich zwangsläufig auf Lohnarbeit.
Natürlich gibt es trotzdem schon immer und immer wieder Kämpfe um die Gestaltung von Lohnarbeit, doch sind diese Kämpfe meist schon erstarrt, gesellschaftlich kontrolliert und gezähmt. Sie sind wie das laue Lüftchen, das auch im Auge des Hurricans weht.
Am stärksten weht der Wind am Rande des Auges in der eye wall. Das ist der Bereich in dem darum gekämpft wird, welche Arbeit Lohnarbeit ist und welche nicht. Das ist der Bereich der Prekarisierung. Wo Menschen hin- und hergewirbelt werden ohne jeden Halt. Wo selbst gemauerte Häuser nicht mehr sicher sind.
eine Beispielhafte Anekdote
Ich schufte gerade auf einer Baustelle hier im Haus, das zur Hälfte meinen Eltern gehört und wo ich dann selber wohnen werde, also eigentlich ein Fall von Selbstentfaltung. Dennoch ist das ganze ausgesprochen unangenehm und eigentlich in jeder Beziehung Arbeit. Eben - ich war in Gedanken noch ganz bei diesem Text - kam dann ein mittelalter Mann vorbei, der sich nur mühsam auf zwei Krücken aufrecht halten konnte, sah mich mit meinen Kieseimern, nickte anerkennend und sprach: "Das ist Arbeit!".
Ein Versuch der Interpretation dieser Anekdote im Licht der obigen Überlgungen: Das entscheidende an dieser Aussage ist nicht, ob er Recht hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr seine Reproduktion des Arbeitswirbels durch seine Bewertung als Arbeit. Dies geschieht einerseits durch das Anerkennen einer mühseligen Tätigkeit als 'Arbeit' und zum anderen dadurch, daß er sich selbst aufwertet in dem er andeutet, dass er nur vorübergehend verhindert sei zu arbeiten, sonst wüsste er ja wohl kaum, wovon er redet! Er bewertet also nicht nur die Tätigkeit eines anderen, sondern auch die eigene imaginierte Tätigkeit.